2024 07

still complaining

Jahresausstellung AdBK Nürnberg | 10. - 14. 07. 2024
Künstlerische Intervention der Zentrale für kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle




Ein Stein in einem Monumentalbau scheint unveränderlich.
Ist dieser Bau historisch, steht er unter Denkmalschutz. Wenn er in der Mauer des zweitgrößten NS-Baus Deutschlands steckt, ist er mehr als nur ein Stein: In der Epoche des Zeitzeugensterbens wird die Aufgabe des Bezeugens auf ihn überschrieben. Er macht das Vergangene im Jetzt sichtbar. Der Größenwahn des Nationalsozialismus und sein Scheitern wird erfahrbar. Diese Erfahrung ist zentraler Punkt für die ideologiekritische Aufklärung auf dem Reichsparteitagsgelände. Der Innenhof der Kongresshalle, der nie ein Hof sein sollte, ist leer. Keine Tribünen für 50.000, kein zusätzliches Stockwerk, kein doppelt so hoch, kein Glasdach für diffuses Sonnenlicht. Keine Hitlerreden. Die Leere ist kein Leerstand.

Was meinst du, ändert sich leichter: ein Stein der Kongresshalle oder die Ansicht darüber?

Die Stadt Nürnberg plant eine Transformation. Im Innenhof soll ein Ergänzungsbau errichtet werden, damit dort Opern spielen können. In die U-Form werden Atelierflächen, Bandproberäume, Probebühnen, Ausstellungsräume, eine Buchhandlung und ein Café - die sog. “Ermöglichungsräume” gebaut. Von der Hochkultur wird eine demokratische Erschließung der Kongresshalle erwartet. Dass die Oper eine elitäre Veranstaltung ist, zu der nur Zugang sucht, wer die Dresscodes kennt, den Bildungsstand der Intellektuellen besitzt, die soziale Selbstverständlichkeit einer gehobenen Sprache aufweist, bleibt unerwähnt. Dass Kunst kein Korrektiv sein kann, ebenso. Von ihr wird Dekontaminierung verlangt, das Geschehene verdaubar, weicher zu machen. Wann wird Kunst zur Dekoration eines NS-Propagandabaus, wann dient sie zur Verschleierung des schwierigen Erbes und als Wertsteigerungsfaktor? Der Leerstand soll nutzbargemacht werden. In unmittelbarer Nachbarschaft zur neuen, internationalen Universität (UTN) und zum Neubauviertel Lichtenreuth, stellt das Kulturareal Kongresshalle die Ausformulierung von gentrifizierter Erinnerungskultur dar.

Die Stadt vermarktet ihr Kalkül als zukunftsgerichtet. Doch was meint zukunftsgerichtete Erinnerungskultur? Eine Rhetorik für das Vergessen: ist das Erinnern nicht das Vergegenwärtigen von Vergangenheit? Ein Bewusstsein dafür im Heute. Zukunft ist dagegen Spekulation und sollte nicht als Abwendung verstanden werden. Wird der Schlussstrich angesetzt?

Das Kollektiv Zentrale für kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle setzt sich seit 2023 mit den Umbaumaßnahmen an der Kongresshalle auseinander. Dabei bildet der aktuelle Prozess, die Errichtung eines Opern-Ergänzungsbaus und das Konzept der Atelierflächen, einen Schwerpunkt in der Beschäftigung mit dem „difficult heritage“. Die ideoligiekritische Aufklärung ist ein Schlüsselmoment gegen den Rechtsruck repräsentativer Demokratien.
Um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, nimmt die Zentrale die Rolle der kritischen Beobachter*innen ein, ohne den historisch-politischen Bildungsauftrag der Stadt erfüllen zu wollen.

Die Vernetzung mit anderen Initiativen und Expert*innen ist zu einer wichtigen Methode geworden, ebenso wie die kollektive künstlerische Forschung im Feld der Erinnerungskultur.

In diesem Kontext wurde auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Eingedenkens“ von Walter Benjamin relevant. Dazu schreibt dieser: „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet.“

WE ARE STILL COMPLAINING.

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Die Zentrale für kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle ist ein Künstler*innenkollektiv zum Thema Erinnerungskultur in Nürnberg und besteht aktuell aus folgenden Mitglieder: Ulf Herold, Jason Hess, Laura Michèle Kniesel, Kira Krüger, Mily Meyer, Max Pospiech, Florin Weber.

Fotos & Text © Zentrale für kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle