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Mily Meyer



Ohne Titel

Soundinstallation, Ton, Gouache, Fotografiedruck, Stecknadeln
2023







das reichsparteitagsgelände
das wort ist klobig, ungelenk, monumental
jede silbe ein stück jurastein
es liegt schwer im mund
ich schlucke die brocken
es liegt schwer im magen
nennen wir es doku zentrum, das tut nicht weh

ich mache eine arbeit
wie macht man eine arbeit über das reichsparteitagsgelände?
schritt 1: geschichte ist vergangenheit
schritt 2: vergegenwärtige die vergangenheit
schritt 3: mache fotos
schritt 4: benutz sie dann nicht
schritt 5: sitze zwei stunden auf den stufen der zeppelintribüne bis deine finger ganz rot
werden und starre die steine an.
schritt 6: reflektiere deine eigene position. welche perspektive nimmst du ein? welche
privilegien nutzt du? welche nutzen dich? warum fühlst du dich so klein? warum hörst du
nicht zu? warum schweigst du? warum redet opa nie vom krieg? warum stößt du dich am
stein? wer bist du, dass du eine arbeit machen willst?
schritt 7: reflektiere die reflexion
schritt 8: sag dreimal ganz schnell hintereinander reichsparteitagsgelände
schritt: links 2, 3, 4

auf dem zeppelinfeld ist es nie ganz still
geräuschkulisse um fassadenspiel
unbekannte flugobjekte fliegen nach mallorca
hunde bellen
raben schreien
die steine schreien
von brutalität
von körpern mit blonden haaren und blauen augen
von meinem körper
vom silbersee und schwefelwasserstoff
von sprache
von vergifteten wörtern, die nie wieder die selben sein werden
keine volksgemeinschaft
von diesem ort, der nie wieder derselbe sein wird
keine naherholung
von diesem land, das nie wieder dasselbe sein wird
keine deutschlandfahnen

Ausstellungsansichten: Jason Hess
Text: Mily Meyer




(YA/CoA)

Text auf Recyclingpapier auf Steele, A4 (29,7x21 cm), 30x40x120 cm
2023





ich verscherble meine panini sticker sammlung für ein reihenhaus.
gute gegend
netter vorgarten
ressentiments im fahrradkeller
die bunten murmeln leg ich obendrauf, sie kugeln davon in die hände der
sterbeversicherung.
die gewisse zukunft packt meine ambitionen und bröselt sie in die kellogs flocken,
denn träume frisst die realitätsmaschine zum frühstück.
ich gebe die hanni und nanni dvd für den kitaplatz und stecke mich selbst in
tagesbetreuung.
ich warte darauf, dass meine mutter mich abholt.
sie kommt nicht.
nur herr lindner, ihm schulde ich noch meine dankbarkeit für den freien markt. ohne
den wäre mein tauschgeschäft nur eine lüge für eine künstlerische arbeit und meine
haribopackung aus 2008 keinen urlaub auf mallorca wert.

meine mutter wäre stolz auf mich (sich).
vor allem wäre sie beruhigt.

was sie nicht weiß: die panini sticker kleben den zwiespalt zusammen.

das wort dilemma habe ich beim dame spielen von opa gelernt.
jetzt bin ich eine
eine dame mit dilemma




Ausstellungsansichten: Jason Hess, Mily Meyer
Text: Mily Meyer


be my mother

Video, 3:32 m

Video: Mily Meyer